Josip Broz Tito war der langjährige Präsident und Staatsführer der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien. Mit seiner Devise der „Brüderlichkeit und Einheit“ (bratstvo i jedinstvo) schaffte er es, das Land, trotz ethnischer und religiöser Unterschiede, zusammenzuhalten und führte eine unabhängige Außenpolitik zwischen Ost und West (Bewegung der Blockfreien Staaten). Zudem verhalf er Jugoslawien zu einem wirtschaftlichen Aufschwung und somit zu einem vergleichsweise hohen Lebensstandard für einen sozialistischen Staat im 20. Jahrhundert. Infolgedessen entstand ein Personenkult um Tito. Mit seinem Tod 1980 verschwand diese wichtige Identifikationsfigur, was - auch aufgrund des unklaren Nachfolgers - zu politischen Spannungen führte. So folgte ein kollektives Staatspräsidium (Präsidium der SFRJ) mit jeweils einem Mitglied der Teilrepubliken und den autonomen Provinzen, dessen Vorsitzender das de-facto Staatsoberhaupt Jugoslawiens war. [1][2][3]
In den 1960er-Jahren erlebte Jugoslawien den Übergang in eine Industriegesellschaft und damit verbunden ein Wirtschaftswunder. Beispielsweise stiegen die Realeinkommen zwischen 1950 und 1965 um rund 80 Prozent und auch die Wohlstandskluft zu den westlichen Industrieländern verringerte sich. Dennoch geriet Jugoslawien in den 1970er-Jahren – wie der Rest Europas – in eine Phase der Rezession. Als Folge auf die Ölkrise 1973 erlebte Jugoslawien zusätzlich eine Reihe wirtschaftlicher Probleme, wie etwa massive Produktionsausfälle, Fehlplanung, Investitionsmangel und Technologierückstand. Es folgte eine Investitionswelle, die keinesfalls im Verhältnis zu der damaligen Wirtschaftsleistung stand und das Land in eine verhängnisvolle Schuldenfalle stürzte. Das Einkommen der Bürger sank und die Arbeitslosen- und Inflationsrate stieg immens. Aufgrund dessen verlor das sozialistische System gravierend an Glaubwürdigkeit und Zustimmung. [1][4][5][6]
Der Abbau regionaler finanzieller Ungleichheiten zwischen den Teilrepubliken und autonomen Provinzen galt als politische Priorität eines solchen föderalen Systems. Auf Basis des Bundesentwicklungsfonds von 1965 wurden von nun an Zwangsleihen sämtlicher Unternehmen gefordert, um einen Finanzausgleich zu schaffen. Jedoch profitierten Slowenien und Kroatien weitaus stärker von dem Wirtschaftswunder, sodass sie hohe Summen von ihrem Vermögen an die unterentwickelten Republiken abgeben mussten. Dies hatte zur Folge, dass jeder eine völlig unterschiedliche Vorstellung davon entwickelte, wie dieser Staat denn künftig organisiert sein sollte. So plädierten die wohlhabenderen Republiken für noch mehr Dezentralisierung und Liberalisierung der Wirtschaft, während sich die ärmeren für das Gegenteil aussprachen, da sie von der Umverteilung abhängig waren. Dies sorgte für sowohl wirtschaftliche und politische Spannungen als auch vermehrt für ethnische Dispute. [6][7]
Die nachlassenden Wachstumsraten und zunehmenden regionalen Gegensätze schufen ein Konkurrenzdenken und brachten die zuvor weitgehend ausgebliebenen ethnischen Rivalitäten zurück. Diese Unzufriedenheit in der Bevölkerung bereitete den Boden für nationalistische Rhetorik von Politikern wie Slobodan Milošević, Franjo Tuđman und Alija Izetbegović. [8]
Auch im Kosovo wurden 1981 die Unruhen in Form von Protesten für eine eigene kosovarische Teilrepublik lauter, welche allerdings gewaltsam niedergeschlagen wurden. Auslöser war die serbische Regierung, die vermehrt mit Unterdrückung auf die steigende Geburtenrate der Kosovo-Albaner reagierte. Viele im Kosovo lebende Serben fürchteten aus dem Land, das sie als die „Wiege der serbischen Nation“ ansahen, verdrängt zu werden. Dieses Narrativ entsprang der Erzählung der Schlacht auf dem Amselfeld, bei der die Serben 1389 gegen die Osmanen gekämpft und es zum Standort der bedeutendsten orthodoxen Kulturdenkmäler gemacht haben sollen. Diese historische Deutung ist die bis heute bestehende Begründung für die von Serbien nicht anerkannte Unabhängigkeit des Kosovo. [8][9][10]
Als letzter ausschlaggebender Punkt galt der Zerfall der sozialistischen Staaten in Osteuropa nach 1989, wie beispielsweise die Sowjetunion oder die DDR. Diese Ereignisse schwächten die jugoslawische Regierung weiter, da der Kommunismus als einigendes Element wegfiel und demokratische sowie separatistische Bewegungen erstarkten. [11]
Gegen Ende der 80er-Jahre verlor das sozialistische System seine Legitimation in der Bevölkerung voll und ganz. Als letzter Versuch der Bundesregierung den Unruhen ein Ende zu setzen, führte sie 1988 Privatisierungen ein und schaffte das sozialistische Eigentumsrecht und die Arbeiterselbstverwaltung ab. Ein geordneter Übergang zu einer Mehrparteiendemokratie und Marktwirtschaft wurde allerdings von den Kontrahenten Slowenien und Serbien verhindert, da deren Konflikt unauflösbar schien. Während sich Slowenien für mehr Autonomie einsetzte, versuchte Serbien unter Slobodan Milošević mit aller Kraft, die Teilrepubliken und autonomen Provinzen wieder unter seine Kontrolle zu bringen. Dies gelang Milošević im Fall des Kosovo und der Vojvodina in den Verfassungsänderungen von März 1989, in denen er ihnen weitgehend ihre Selbstverwaltung entzog. [12]
1989 brachen Proteste über das ganze Land herein. In Slowenien, Kroatien und im Kosovo demonstrierte man gegen die serbische Dominanz und für mehr Eigenstaatlichkeit. Zudem kam es im Februar 1989 zu einem Hungerstreik von kosovo-albanischen Minenarbeitern. Gegendemonstrationen gab es von serbischer Seite. Eine weitere Form des Protests gegen den Vielvölkerstaat war die Weigerung der Teilrepubliken ihre Ausgaben zu reduzieren, womit die Bekämpfung der Inflation unmöglich wurde und sie mit 2700 Prozent ins unermessliche stieg.
All diese Konflikte wurden in ethno-politische Gegensätze uminterpretiert. In erster Linie deswegen, weil man die Nationenbildung bei der Staatsgründung Jugoslawiens 1918 als abgeschlossen wahrgenommen hat und somit nie eine jugoslawische Nationalidentität „von oben“ geschaffen wurde. Bei einer Volkszählung 1981 gaben zwar 10 Prozent der Gesamtbevölkerung ihre Nationalität als „jugoslawisch“ an, allerdings überwiegte die ethnische Zugehörigkeit dann doch enorm. [12][13]
Im Jahr 1990 gab es die ersten freien Wahlen mit mehreren antretenden Parteien in Jugoslawien. Zuvor entstanden bereits national ausgerichtete Parteien im ganzen Land, wie beispielsweise die „Kroatische Demokratische Gemeinschaft“ (HDZ), die „Innere Mazedonische Revolutionäre Organisation“ (VMRO-DPMNE) oder auch Miloševićs „Sozialistische Partei Serbiens“ (SPS). Diese wurden von den Menschen der jeweiligen Nation auch am meisten gewählt, womit deren Unabhängigkeit nur noch eine Frage der Zeit war. [14]
©2025 David Krpesic-Zorzi & Lena Weiß
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